Aus der Werkstatt eines Übersetzers
Elmar Tophoven und das Magnetophon
von Eckhard Braun
Das Ohr konnte den Augen zu Hilfe kommen
Elmar Tophoven suchte Beckett im Frühjahr 1953 zum ersten Mal in
seiner Pariser Wohnung in der Rue des Favorites auf, um mit ihm sein
Übersetzungsmanuskript Warten auf Godot durchzuarbeiten. Beckett
hatte das Skript zuvor aufmerksam durchgelesen. Beide verbrachten zwei
lange Nachmittage mit dieser Aufgabe und arbeiteten äußerst
intensiv, doch blieben sie offenbar mit dem Ergebnis unzufrieden. Auf
Wunsch Becketts las Tophoven diesem nun Erich Franzens Übertragung
von Molloy vor. Schließlich fand sich, nachdem Tophoven Anfang
1954 mit der weiteren Übertragung des beckettschen Prosawerkes
durch Peter Suhrkamp beauftragt worden war, eine dritte Form der Zusammenarbeit:
Der Übersetzer las seinen deutschen Text vor, Beckett verfolgte
dies mit dem französischen Original vor Augen und unterbrach an
„verdächtig klingenden Stellen“.
Doch als das Werk Becketts sich immer weiter verdichtete, als er wie
in Comment c´cest / Wie es ist, das 1961 erschien, äußerst
kurze ‚Leseeinheiten’ formulierte, die nicht mehr, wie üblich,
durch die Zeichensetzung – Beistriche oder Punkte – voneinander
getrennt wurden, sondern „Wörteraggregate“ bildeten,
empfand es Tophoven als ungenügend, sich den sinnerschließenden
Rhythmus des Textes durch reines Lesen anzueignen. Er berichtet von
diesem Dilemma 1986 auf einem Kasseler Symposium zum Thema „Beckett
und die Literatur der Gegenwart“: „Es drängte sich
einem der Gedanke auf, daß ein auf Tonband gesprochener, abhörbarer
Text den Zugang, das individuelle Sich-Einhören, Sich-Einlesen
begünstigen würde.“
Auch Pour finir encore et autres foirades / Um abermals zu enden und
anderes Durchgefallenes wurde zum Anlass für die Erprobung dieses
neuen Textannäherungsverfahrens. Tophoven erzählt: „Die
zum Teil wieder sehr kurz gegliederten Prosatexte wurden von mir auf
Magnetophonkassetten gesprochen und bei einsamen Autofahrten immer wieder
abgehört, um den Texten mehr und mehr klangliche Nuancen, Echos,
Stabreime oder Assonanzen abzulauschen.“
Auch From an Abandoned Work / Aus einem aufgegebenen Werk wurde „vor
mehreren kritischen Ohren vom Magnetophonband abgespielt, um noch Unstimmigkeiten
ausfindig zu machen. Durch dieses Verfahren konnte nicht nur die Sprechbarkeit
von Texten leichter erprobt werden. Es erlaubte auch nachträgliche
Vergleiche von deutschen Versionen mit Übersetzungen aus der Feder
des Autors“ (Samuel Beckett). Schließlich bekannte der Übersetzer:
„Bis 1975 hatte ich über siebzig Stunden Beckett-Texte auf
Band gesprochen. Das Abhören der Bänder erleichterte die Vergleiche
der deutschen Übersetzungen mit den Originalen und den englischen
und französischen Versionen bei der Vorbereitung der Werkausgabe.
Das Ohr konnte den Augen zu Hilfe kommen.“ Wer die von Tophoven
auf Band gesprochenen Texte heute hört, kann diesen sehr ernsthaften
Prozess der Vergegenwärtigung beckettscher Werke nachempfinden
und selbst in die Welt des Samuel Beckett eintauchen; er wird dies mit
hohem Gewinn und dank der sprecherischen Begabung Tophovens mit persönlichem
Genuss an dem ausgefeilten Rhythmus und Klang der Übersetzungen
tun.
(Zitate aus: Elmar Tophoven, Dreiunddreißig Jahre Vergegenwärtigung
Beckettscher Werke, in: Beckett und die Literatur der Gegenwart, Hrsg.
von Martin Brunkhorst, Gerd Rohmann, Konrad Schoell, Heidelberg 1987,
S. 26 bis 40)